Wenn eine Gruppe von Frauen zur Waffe wird
Mobbing ist ein dunkler Schatten, der sich oft unbemerkt in den Alltag schleicht und das Leben der Betroffenen Stück für Stück zerstört. Besonders perfide ist es, wenn es nicht von einem Einzelnen, sondern von einer Gruppe ausgeht – und das Mobbing ein Jahr lang andauert, wie in diesem Fall. Eine Gruppe von Frauen gegen eine einzige Person. Was nach einem Klischee klingen mag, ist eine tief sitzende, psychische Zerstörung, die sich leise und unsichtbar ausbreitet.
Die Gruppendynamik: Eine Mauer aus Angst und Anpassung
Die Tätergruppe ist selten eine homogene Einheit. An ihrer Spitze steht oft eine dominierende Person, die den Ton angibt und die Richtung vorgibt. Ihre „Gefolgschaft“ besteht aus zwei Arten von Mitläuferinnen:
- Die Überzeugten: Sie teilen die Ablehnung oder den Neid der Anführerin und sind aktiv an den Schikanen beteiligt.
- Die Mitläufer aus Angst: Dies ist die gefährlichste und zahlenmäßig größte Gruppe. Sie machen mit, weil sie Angst haben, selbst zum nächsten Opfer zu werden. Sie lachen mit, wenn gelästert wird, schließen das Opfer aktiv aus oder schweigen, wenn sie Zeugen von Gemeinheiten werden. Ihr Schweigen ist ein Akt des Selbstschutzes, der jedoch die Spirale der Gewalt und Isolation nur weiterdreht. Sie sind Marionetten, die von ihrer eigenen Angst kontrolliert werden.
Diese Gruppendynamik erzeugt einen unsichtbaren Druck. Ein Mikrokosmos, in dem Empathie und Menschlichkeit ausgetauscht werden gegen die kalte Logik des Überlebens innerhalb der Gruppe.
Die Geistes- und Gefühlswelt des Opfers: Ein Leben im ständigen Ausnahmezustand
Nach einem Jahr Mobbing befindet sich die Psyche des Opfers in einem permanenten Überlebensmodus. Die Emotionen sind eine Achterbahn aus Scham, Wut, Trauer und Hilflosigkeit.
- Die emotionale Ebene: Die Betroffene fühlt sich zunehmend isoliert und wertlos. Jeder Tag am Arbeitsplatz wird zu einer nervenaufreibenden Prüfung. Die ständige Angst vor dem nächsten Angriff, dem nächsten abfälligen Blick oder der nächsten Ausgrenzung führt zu chronischem Stress. Selbst zu Hause lassen die Gedanken nicht nach. Schlaflosigkeit, Panikattacken und eine tiefe, lähmende Traurigkeit sind oft die Folge. Das Opfer beginnt, an sich selbst zu zweifeln. „Bin ich wirklich so nutzlos, dumm oder unliebsam?“ Die ständigen Angriffe nagen an ihrem Selbstwertgefühl, bis dieses kaum noch existiert.
- Die geistige Ebene: Die Konzentration leidet massiv. Produktivität sinkt, weil die gesamte geistige Kapazität darauf verwendet wird, die Situation zu überstehen. Das Opfer analysiert ständig jeden Blick, jedes Wort und jede Geste der Kolleginnen, um herauszufinden, ob es wieder angegriffen wird. Dieser Prozess ist zermürbend und verbraucht die letzten mentalen Reserven.
Dissoziation: Die Abspaltung der Realität als Überlebensmechanismus
Wenn der psychische Schmerz und die Überforderung ein unerträgliches Ausmaß annehmen, greift das Gehirn zu einem extremen Notfallmechanismus: Dissoziation. Man kann es sich wie einen Schutzschalter vorstellen, der die Verbindung zwischen der eigenen Person und dem Erlebten unterbricht.
Was bedeutet das genau?
Das Opfer erlebt die Situation wie in einem Film – die eigene Handlung, die Geräusche, die Umgebung werden unwirklich. Es fühlt sich an, als würde man von außen zusehen, wie der eigene Körper im Arbeitsumfeld existiert, ohne wirklich anwesend zu sein. Diese Abspaltung kann sich in folgenden Symptomen äußern:
- Depersonalisation: Das Gefühl, sich selbst fremd zu sein oder den eigenen Körper wie einen Roboter zu steuern. Man hat das Gefühl, neben sich zu stehen.
- Derealisation: Die Umgebung, der Arbeitsplatz, die Kollegen – alles wirkt unwirklich und verschwommen. Man hat das Gefühl, in einem Traum zu leben oder hinter einer dicken Glasscheibe zu stecken.
- Gedächtnislücken: Manchmal kann das Opfer sich nicht mehr an bestimmte Situationen oder Gespräche erinnern, weil das Gehirn diese belastenden Ereignisse abkapselt.
Dissoziation ist keine bewusste Entscheidung, sondern eine unbewusste Reaktion auf extremen Stress und Trauma. Für das Opfer ist es der einzige Weg, das Trauma zu überleben, ohne daran zu zerbrechen. Paradoxerweise schützt dieser Mechanismus zwar kurzfristig vor dem Schmerz, isoliert die Person aber noch stärker und behindert eine spätere Verarbeitung des Geschehenen.
Der Ort der Tränen: Die Toilette als verzweifeltes Stillleben
Es gibt einen stillen, heimlichen Schauplatz, der das ganze Leid des Mobbing widerspiegelt: die Toilette. Hier, hinter verschlossener Tür, findet die Verzweiflung ihr Ventil. Oft haben sich sowohl das Opfer als auch die Mitläuferinnen aus der Gruppe dort eingeschlossen, um zu weinen.
Das Opfer findet hier einen Moment der Einsamkeit, um sich von der Last des Tages zu erholen, die Tränen laufen zu lassen, bevor es die Maske der Stärke wieder aufsetzt und an den Schreibtisch zurückkehrt. Es ist der einzige Ort, an dem es ungesehen zusammenbrechen kann.
Gleichzeitig nutzen auch die Mitläuferinnen diesen Ort. Ihre Tränen sind keine der Trauer, sondern der Angst und des Gewissenskonflikts. Sie erkennen die Grausamkeit des Verhaltens, fühlen sich aber zu schwach, um sich dagegen aufzulehnen. Ihre Tränen stehen für ihre Hilflosigkeit und ihren Verrat an sich selbst – und am Opfer. Diese Szenen, die sich nur wenige Meter voneinander entfernt abspielen, verdeutlichen die tiefe, unsichtbare Zerstörung, die Mobbing anrichtet.
Die Rolle der Führungskräfte: Wegsehen als Kollaboration
Das Nichteingreifen von Vorgesetzten ist oft der Punkt, der das Leid des Opfers unerträglich macht. Die häufigsten Reaktionen sind:
- Herunterspielen: „Das sind nur persönliche Konflikte.“ oder „Das ist doch kein Mobbing, das sind nur ein paar Meinungsverschiedenheiten.“
- Ausrede der mangelnden Kompetenz: „Dafür sind wir nicht ausgebildet.“
- Vertröstung an Dritte: „Suchen Sie sich doch Hilfe von außen.“
Selbst wenn offensichtliche Zeichen wie weinende Mitarbeiterinnen gesehen werden, wird oft kein gemeinsames Gespräch gesucht. Dieses bewusste Ignorieren des Schmerzes ist eine Form des Verrats.
Die Konsequenzen des Nichthandelns und der Vertrauensverlust
Das Nichthandeln der Vorgesetzten hat katastrophale Konsequenzen:
- Massiver Vertrauensverlust: Das Opfer verliert nicht nur das Vertrauen in seine Kollegen, sondern auch in seine Vorgesetzten und die gesamte Organisation. Es fühlt sich alleingelassen und erkennt, dass der Arbeitsplatz kein sicherer Ort ist, sondern eine feindselige Umgebung, in der es sich selbst überlassen ist. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit ist zutiefst zerstörerisch.
- Verstärkung der Täter: Durch das Wegsehen der Chefetage fühlen sich die Täterinnen in ihrem Verhalten bestätigt. Es gibt keine Konsequenzen, also können sie weitermachen.
- Gesundheitliche Folgen: Die andauernde Belastung führt nicht nur zu psychischen, sondern auch zu physischen Erkrankungen – von Magenproblemen bis zu Burnout und den längerfristigen Folgen der Dissoziation.
- Kündigung: Oft bleibt dem Opfer nur die Kündigung als letzter Ausweg, da der Arbeitsplatz unwiederbringlich mit Angst und Schmerz assoziiert wird.
Das Eingreifen einer Führungskraft ist keine optionale Aufgabe – es ist eine Pflicht. Mobbing ist keine Meinungsverschiedenheit, sondern eine Form der Gewalt, die im Keim erstickt werden muss. Wer wegsieht, schaut nicht nur zu, wie eine Person zerstört wird, sondern trägt selbst Mitschuld am Leid.
Hinweis: Dieser Beitrag soll das Thema aus einer emotionalen und psychologischen Perspektive beleuchten und richtet sich an Betroffene, Mitwissende und Vorgesetzte, um das Bewusstsein für die unsichtbaren Mechanismen des Mobbings zu schärfen.
https://youtu.be/Dvr_Z0MimxQ?si=lg4bG4gL3YkZFYNx